• Barbarossa/ Barbablanca

Von Barbarossa zu Barbablanca

Die Rezeption des Mittelalters im 19. Jahrhundert am Beispiel Friedrich I. Barbarossa

Barbarossa

„Wenn sein Volk ihn braucht wird der alte Kaiser wieder erwachen und es in ein geeintes und friedliches Reich führen…“, diese Zeilen kommen den meisten von uns wohl als erstes in den Sinn, wenn sie vor dem Kyffhäuser stehen. In diesem 19 km langen und 7 km breiten Bergrücken an der Grenze zwischen Thüringen und Sachsen soll laut der im 16. Jahrhundert aufgekommenen Kyffhäuser-Sage Kaiser Friedrich I. (1122-1190) schlafen, bis er sein Volk erneut in eine glorreiche Zeit führen wird. 
Seinen Beinamen „Barbarossa“ erhielt der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches in Italien aufgrund seines rötlich schimmernden Bartes (Barba „Bart“, rossa „rot“).
Schnell wandert der Blick des Besuchers weiter auf das imposante Kyffhäuser-Denkmal (1890-1896), das die Spitze des Berges schmückt. Doch wurde dies nicht zu Ehren Barbarossas erbaut, sondern zum Gedenken an Kaiser Wilhelm I. (1797-1888).

Schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts diente die Kyffhäuser-Sage immer wieder als Grundlage für zahlreiche literarische Stücke und wurde so zu einer Nationalsage. Barbarossa war hier der edle Kaiser, der durch seinen „zukunftsweisenden Charakter“ den Deutschen Hoffnung und Zuversicht in Zeiten des Umbruches und der Haltlosigkeit geben sollte.
Denn nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806), den Freiheitskriegen (1814/15) und der gescheiterten Revolution von 1848 war Deutschland in einen Flickenteppich aus Klein- und Kleinststaaten zerfallen. Und vor allem die Fragen nach den Staatsgrenzen und der Staatsführung spalteten das Reich. Auf der einen Seite die Konservativen, die für eine Kleindeutsche Lösung (nur die Staaten des Norddeutschen Bundes) unter der Führung von Preußen plädierte, und auf der anderen Seite die Befürworter der Großdeutschen Lösung (Norddeutscher Bund und Österreich) unter der Führung des österreichischen Kaisers. Selbst nach der Entscheidung der Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche (1848) für die Kleindeutsche Lösung blieb die Deutsche Frage auch weiterhin ein Diskussionspunkt.
Da sich die einzelnen Staaten immer wieder bekämpften (z.B. im Deutschen Krieg von 1866), wuchs auch die Sehnsucht der Deutschen nach einem starken und geeinten Reich immer weiter. Und je lauter der Ruf nach Einheit und Frieden wurde, desto zahlreicher wurden Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke über das Leben Barbarossas. Sie dienten als Legitimationen einer Idee eines geeinten deutschen Reiches unter der Führung eines starken Kaisers.

1871 wurde Wilhelm I. in Versailles zum Deutschen Kaiser gekrönt, doch hatte das neu entstandene Kaiserreich weder die nationalstaatliche Kontinuität des alten Kaiserreichs, noch konnte es als dessen „Nachfolgesystem“ angesehen werden. Da Barbarossa im 19. Jahrhundert untrennbar mit der vergangenen deutschen Reichsherrlichkeit verbunden wurde, mehrten sich die literarischen Vergleiche zwischen den beiden Kaisern mit dem Ziel, dass etwas von Friedrichs Glanz auf Wilhelm übergehe. Aus Wilhelm I. wurde hierzu – in Anlehnung an Barbarossa – „Barbablanca“, der Weißbart.
Auch die „Ähnlichkeit“ der außen- und kirchenpolitischen Probleme wurde wiederholt herangezogen um die tiefe Verbundenheit der beiden aufzuzeigen. Dabei interpretierte man die Probleme des mittelalterlichen Kaisers Friedrichs I. sehr frei und übertrug sie in die eigene Gegenwart.

Apotheose des Kaisertums

Die Inhalte der literarischen Werke wurden stetig an das Interesse der Politik angepasst. Historische Ereignisse, die den Literaten unpassend erschienen, wie der Fußkuss Barbarossas und das Halten der Steigbügel für Papst Alexander III. (1177) wurden dabei entweder höchstens in einem Nebensatz erwähnt oder sie dienten als ein schlechtes Vorbild, aus dem Wilhelm I. vermeintlich gelernt habe. So wurde zum Beispiel die Ablehnung der Großdeutschen Lösung durch Wilhelm I. mit dem Vorwurf an Barbarossa untermauert, er habe sich zu viel um seine Weltherrschaftsidee gekümmert und somit den Fürsten im eigenen Land freie Hand für die Durchsetzung ihrer persönlichen Machtinteressen gegeben.

Der Hohenzollern-Kaiser Wilhelm I. wurde zum nationalpolitischen Erbe des Hohenstaufer-Kaisers Friedrich I. gemacht. Zusammen wurden aus ihnen die „ zwei vertrauenswürdigen Vaterfiguren des neuen Deutschen Kaiserreichs“.
Das Barbarossa-Barbablanca-Bild schuf hier die perfekte Verbindungslinie zwischen historischer Tradition und der wilhelminischen Gegenwart des 19. Jahrhunderts.

Barbarossas Erwachen

Dies führte auch dazu, dass die frühen kritischen Stimmen, die sich nach der Auflösung des Norddeutschen Bundes zu Wort gemeldet hatten, sehr schnell verhallten. Diese hatten den Literaten eine willkürliche Heranziehung beliebiger historischer Vorbilder zur Stärkung Wilhelms I. vorgeworfen. Außerdem sahen sie den Vergleich Wilhelms I. mit Friedrich I. als überaltert und rückständig an. Ihrer Meinung nach war der ehemalige Glanz Barbarossas zum Abendglanz geworden und der Barbablancas wurde zum Morgenlicht.
Doch die literarischen Vergleiche der beiden Kaiser und der Einsatz der Kyffhäuser-Sage zur Legitimation Wilhelms I. und dessen Politik führten zu einem Problem: Schließlich sollte Barbarossa der Sage nach in der größten Not seines Volkes wiederkehren um erneut den deutschen Kaiserthron zu besteigen, auf dem jetzt aber schon Barbablanca saß. Die Lösung für dieses literarische Dilemma war so einfach wie ideologisch wertvoll: Der alte, ehrwürdige und weise Kaiser Friedrich I. Barbarossa erkannte in Wilhelm I. Barbablanca seinen würdigen Nachfolger auf dem deutschen Kaiserthron und legte sich endgültig im Kyffhäuser zur Ruhe.

Das Kyffhäuserdenkmal

Und so thront nun das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Kyffhäuser, als ein weithin sichtbarer Ausdruck der „Erfüllung“ der Kyffhäuser-Sage durch Wilhelm I.

Literatur und Links:

Stefanie Berg, Heldenbilder und Gegensätze. Friedrich Barbarossa und Heinrich der Löwe im Urteil des 19. und 20. Jahrhunderts (Geschichte 7), Münster 1994.

 
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