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Hastings

Ein Stück lebendige Geschichte

Die Jahreszahl 1066 ist fast jedem englischen Kind bekannt. Es ist das Jahr, in dem England seither zum letzten Mal durch ein normannisches Heer erobert wurde. Darüber hinaus auch deswegen, weil alljährlich das Spektakel der sogenannten „Hastings Week“ den Süden Englands, genauer gesagt die Landschaft bei Hastings, Geschichte lebendig werden lässt. In Erinnerung an jene berühmte Schlacht, auf die später noch eingegangen werden soll, bezeichnet sich die Gegend um Hastings auch als „1066country“.

 

Ein Reenactment für Hastings

Im Rahmen der Hastings Week wird die Schlacht bei Hastings immer am 14. Oktober aufs Neue dargestellt. Am ersten Morgen der Hastings Week wird ein „Reenactment“ durch den Bürgermeister der Stadt offiziell eröffnet. Aber was müssen wir uns darunter vorstellen?
Reenactment kann als Geschichte zum Anfassen bezeichnet werden und wird in erster Linie als „Hobby“ unter anderem von Handwerkern und Händlern betrieben. Nur wenige leben hauptberuflich davon. Nach der Historiographie-Theorie, begründet von Robin George Collingwood (1889-1943), besteht beim Reenactment die Aufgabe darin, auf Grundlage überlieferter Quellen ein ganz konkretes historisches Ereignis möglichst authentisch zu rekonstruieren. Collingwood warb für eine Wiederbetätigung mit Geschichte, weil er der Meinung gewesen war, das Geschichte ein kulturelles Gut sei und nur durch das „Wiedererleben“ verstanden werden könne.

Einzig und allein durch solche Momenterfahrungen könne eine Selbsterkenntnis eintreten. Mit unter kann man das als Grund ansehen, warum dieses Ereignis immer wieder dargestellt wird, obwohl allen Beteiligten bei dieser Re-Inszenierung das Ende der Schlacht bekannt ist. Durch Reenactment wird die Vergangenheit in der Gegenwart für historisch Interessierte „lebendig“.
Deswegen nehmen neben kommerziellen Reenactment-Gruppen auch Stiftungen sich diesem kulturellen Gut an. Eine der bekanntesten, die hierbei erwähnt werden muss, ist die „English Heritage“, die sich um die Erhaltung und Pflege von archäologisch und historisch bedeutsamen Stätten in Großbritannien wie „Stonehenge“ oder auch der „Abbey Battle“ bei Hastings kümmert.

Bei Abbey Battle handelt es sich um ein Kloster, welches auf Initiative Williams I. in der Nähe des Schlachtfelds errichtet wurde um den zahlreichen Opfern in den Kämpfen bei der Eroberung Englands zu gedenken. Nach der offiziellen Eröffnung des Reenactments folgt alljährlich eine Prozession zu diesem Kloster, das als Hauptschauplatz für die Re-Inszenierung der Schlacht bei Hastings dient. Die staatliche Förderung der Hastings Week durch die „English Heritage“ brachte der Region den Beinamen „1066country“ ein. In der Hastings Week finden darüber hinaus noch weitere Veranstaltungen statt wie Wanderungen und Dichterwettbewerbe. Ebenfalls können zahlreiche Mittelaltermärkte besucht werden. Durch die vielen unterschiedlichen Veranstaltungen der Hastings Week ist sie zu einer touristischen Attraktion geworden.

Zur Darstellung dieser „lebendigen“ Vergangenheit müssen aber auch gewisse Regeln befolgt werden. Die wichtigste im Reenactment lautet, dass sämtliche Ausstattung und Bekleidung so originalgetreu wie möglich sein muss. Hierbei wird auf ein einfaches Paar Schuhe genauso viel Wert gelegt, wie auf den Nachbau von Schiffen oder Befestigungen. Bei der handwerklichen Herstellung wird sehr stark auf Authentizität geachtet, zum Beispiel wird das Schuhleder möglichst exakt wie im Jahr 1066 gegerbt und verarbeitet. Während der Hastings Week kann man vielen Handwerkern dabei über die Schultern schauen.
Darüber hinaus muss erwähnt werden, dass man zwischen Reenactments, welche für die Öffentlichkeit durchgeführt werden und solchen, welche unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, unterscheidet. Reenactments für das Publikum ereignen sich in der Regel an Originalschauplätzen. Dies und die Relevanz der Schlacht bei Hastings für die Entwicklung Englands sind mitunter Gründe für die Faszination, die jedes Jahr von der Hastings Week ausgeht.

 

Historischer Hintergrund

Im Frühjahr 1066 begann der normannische Herzog William „der Eroberer“ (1027-1087) mit der Organisation seines Feldzuges gegen England. Er hatte nach dem Tode Königs Edwards „des Bekenners“ (1004-1066) Ansprüche auf dessen Thron erhoben und legitimierte sein Begehren auf die englische Krone mit dem Segen des Papstes Alexander II. (1010-1073), der die politischen Ambitionen Williams unterstützte. Da Edward keine Nachkommen hinterlassen hatte, wurde Harold II. (1022-1066) durch die „Witan“ (oberster Rat der Geistlichen und Adligen Englands) zum letzten angelsächsischen König von England gekrönt. Durch diese Entscheidung war abzusehen, dass die Thronfolge nun in kriegerischen Handlungen geklärt werden würde. Während sich Harold II. bereits gegen seinen Bruder Tostig Godwinson (1026-1066) und gegen den König Harald Hadråda von Norwegen (1015-1066) erfolgreich zu Wehr setzen konnte und seinen Königstitel verteidigte, sollte William die Eroberung Englands an den Tagen des 13. und 14. Oktobers 1066 gelingen und die Regentschaft Harolds II. beenden.
Mit Harolds II. Befehl zum Angriff auf Williams Truppen begann am Morgen des 14. Oktobers die Schlacht, die mit einer Dauer von etwa neun Stunden das längste Gefecht des europäischen Hochmittelalters werden sollte und erst am Abend mit dem Tode Harolds II. endete. Er wurde tödlich von einem Pfeil im Auge getroffen. Dieses Ereignis ist neben vielen weiteren auf dem „Teppich von Bayeux“ abgebildet.
Die Schlacht bei Hastings war der erste und wohl wichtigste Erfolg Williams bei der Eroberung von England. Noch im gleichen Jahr, am Weihnachtstag 1066, ließ er sich in Westminster Abbey als William I. zum König von England krönen und sicherte damit seine Herrschaft in den folgenden Jahren.
Diesem Wendepunkt in Englands Geschichte wird alljährlich mit der Nachstellung der Schlacht während der Hastings Week gedacht. Durch dieses Stück lebendige Geschichte ist die Jahreszahl 1066 fast jedem englischen Kind bekannt.

Verfasser: Fabian Thiel

Literatur und Links:

 
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